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Fakten zur neuen kaufmännischen Grundbildung

Auf Lehrbeginn 2023 tritt die neue kaufmännische Grundbildung in Kraft. Die Verbundpartner der Berufsbildung haben in einer gemeinsamen Mitteilung vom 4. Juni 2021 umfassend informiert. In der öffentlichen Debatte darüber stimmen Aussagen und Tatsachen nicht immer überein. Die SKKAB liefert Fakten zu den wichtigsten Themen.

Stand: 14. Juni 2021

Vorgehen

Die Reform wurde im stillen Kämmerlein entwickelt. Wesentliche Akteure der kaufmännischen Grundbildung wurden nicht eingebunden.

Die Reform wurde in einem partizipativen Prozess entwickelt. Vertreterinnen und Vertreter der 21 Ausbildungs- und Prüfungsbranchen, der Berufsfachschulen und der Kantone haben den Entwicklungsprozess von A bis Z begleitet. Die SKKAB hat regelmässig über den Stand des Projekts informiert – mit Informationsveranstaltungen für die Branchen und die Berufsfachschulen sowie über ihren Newsletter. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) gibt vor, dass alle Berufe regelmässig überprüft werden. Die Vorgaben des SBFI und der Verbundpartner für die Berufsentwicklungsprozesse sind klar geregelt.

Berufs­feld­analyse

Die Reform wurde von praxisfernen Bürokratinnen und Bürokraten entwickelt. Sie zielt am Arbeitsmarkt vorbei.

Die Reform basiert auf einer umfassenden Berufsfeldanalyse (2018). Sie umfasste folgenden Schritte: Auswertung von Studien zur Digitalisierung, zur Veränderung des Arbeitsmarkts, Interviews mit Experten/-innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Bildung, Delphi-Studie zu den kaufmännischen Zukunftskompetenzen, Tagung zur Auswertung der Ergebnisse mit Akteuren aus der Praxis der kaufmännischen Grundbildung.

Akzeptanz

Die Reform zielt an den Bedürfnissen der Praxis vorbei. Sie wird deshalb von der Wirtschaft nicht unterstützt.

Der Schweizerische Gewerbeverband (sgv), der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) und der Kaufmännische Verband Schweiz (kfmv) stehen geschlossen hinter der neuen kaufmännischen Grundbildung. Sie fordern als Vertreter der Arbeitgebenden und der Arbeitnehmenden eine attraktive kaufmännische Grundbildung, die regelmässig den Anforderungen des Arbeitsmarkts angepasst wird.

Die Reform ist ein Lehrstellenkiller.

Die neue kaufmännische Grundbildung geht stärker als die bisherige auf die Bedürfnisse der Lehrbetriebe ein und vereinfacht die Umsetzung in den Betrieben. Das steigert die Ausbildungsbereitschaft, insbesondere der KMU. Grössere Unternehmen ermöglichen seit Längerem innovatives und digitales Lernen. Es ist zentral, dass neben den Betrieben nun auch die beiden anderen Lernorte – die Berufsfachschulen sowie die Anbieter überbetrieblicher Kurse – nachziehen. Die Umsetzungsinstrumente für die betriebliche Bildung werden konsequent unter den Aspekten der Ausbildungsbereitschaft und der Lehrstellenförderung entwickelt. Sie sollen die Berufsbildner/-innen unterstützen und entlasten. So können das heute gute Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Lehrbetriebe beibehalten und die betriebliche Ausbildungskompetenz gestärkt werden.

Die kaufmännischen Berufsfachschulen lehnen die Handlungskompetenzorientierung ab. Sie wehren sich gegen die Abschaffung von Fächern.

Die Mehrheit der Berufsfachschulen steht hinter dem Konzept der Handlungskompetenzorientierung (Position SKKBS). Es werden keine Fächer abgeschafft. Neu wird das Fachwissen aber in Handlungskompetenzbereichen unterrichtet. Der regelmässige Austausch mit rund 400 Schulentwicklern/-innen zeigt, dass in vielen Schulen die Schulentwicklungsprozesse gut angelaufen sind. Die Orientierung nach Handlungskompetenzen ist eine für alle Grundbildung geltende Vorgabe des SBFI.

Die Lehrpersonen an Berufsfachschulen lehnen die Reform ab.

Seitens der Lehrpersonen gibt es sehr differenzierte und auch zahlreiche positive Rückmeldungen. Nur einzelne regionale Organisationen von Lehrpersonen haben sich gegen die Reform ausgesprochen. Die offenen Fragen der Lehrpersonen betreffen insbesondere die Umsetzungskonzepte und -instrumente. Das zeigt auf, dass die Information in diesem Bereich intensiviert werden muss. Die Weiterbildung der Lehrpersonen in den drei Landessprachen ist breit angelaufen. Die Verschiebung der Einführung auf 2023 schafft mehr Zeit für eine umfassende Vorbereitung.

Durch die Reform wird die Rolle der Lehrpersonen abgewertet. Ihnen bleibt die Funktion als Lerncoach.

Die Rolle der Lehrpersonen wird ergänzt und aufgewertet. Die Vermittlung von Fachwissen bleibt eine elementare Aufgabe der Lehrpersonen. Zusätzlich müssen sie die Lernenden aber optimal auf die immer rascher ändernden Rahmenbedingungen der Arbeitswelt vorbereiten. Das bedingt, dass die angehenden Berufsleute lernen, selbstständiger zu lernen. Dabei werden sie durch die Lehrpersonen aktiv unterstützt. Diese werden daher vermehrt als Coach und Lernbegleiter gefordert sein.

Handlungs­kompetenz­orientierung

Durch die Orientierung an Handlungskompetenzen wird die Vermittlung von Grundlagenwissen vernachlässigt. Das Niveau der kaufmännischen Grundbildung sinkt.

Handlungskompetente Berufsleute benötigen fundiertes Grundlagenwissen. Deshalb gibt es in diesem Bereich keine Abstriche. In der neuen kaufmännischen Grundbildung wird das Grundlagenwissen in adäquater Tiefe vermittelt und dank der Verbindung mit dem Berufsalltag der Lernenden stärker verankert als bisher. Dieses Grundlagenwissen ist in den Lernfeldern explizit formuliert und ausgewiesen.

Die Handlungskompetenzbereiche sind schwammig formuliert. Niemand weiss, welche Kompetenzen die Lernenden genau erwerben.

Die Leistungsziele im Bildungsplan sind allgemein formuliert, damit den Veränderungen am Arbeitsmarkt rasch Rechnung getragen werden kann. Die Inhalte sind in nationalen Umsetzungskonzepten für die Berufsfachschulen konkretisiert.

Das Konzept der Handlungskompetenzorientierung ist neu für die Berufsbildung. Es gibt keine Evidenz, dass dieser Ansatz funktioniert.

Die Orientierung an Handlungskompetenzen ist heute in der Berufsbildung Standard. Alle rund 230 beruflichen Grundbildungen arbeiten nach diesem Konzept. Als letzter Beruf stellt das KV um. In der Botschaft zum Berufsbildungsgesetz aus dem Jahr 2004 argumentiert der Bundesrat wie folgt: «Der Schule kommt die Aufgabe zu, das situationsbezogene Erfahrungslernen in übergeordnete Zusammenhänge zu stellen, die für eine dauerhafte Orientierung wichtig sind».

Profile

Die Abschaffung von B- und E-Profil führt zu einer Nivellierung gegen unten. Leistungsstärkere Lernende werden ausgebremst.

Die Trennung in zwei Profile hat sich auf dem Arbeitsmarkt nicht bewährt. Die neue kaufmännische Grundbildung geht flexibler auf die individuellen Stärken der Lernenden und die Erwartungen der Lehrbetriebe ein. Diese Individualisierung macht in Kombination mit dem neuen Fremdsprachenkonzept und der lehrbegleitenden Berufsmaturität die hohe Qualität der neuen kaufmännischen Grundbildung aus.

Berufsmaturität

Die Reform ist mit der lehrbegleitenden Berufsmaturität (BM1) nicht vereinbar und erschwert den Übertritt in die nachgelagerte Berufsmaturität (BM2).

Der Besuch der bewährten lehrbegleitenden Berufsmaturität (BM1) und der Anschluss an die Berufsmaturität nach Abschluss der Lehre (BM2) sind weiterhin sichergestellt. Auch kantonale Umsetzungsformen werden wie bis anhin möglich bleiben.

Durchlässigkeit

Die Reform gefährdet die Durchlässigkeit im Bildungssystem. Der Übertritt von der zweijährigen in die dreijährige kaufmännische Grundbildung wird erschwert.

Dank der Neuausrichtung der beruflichen Grundbildung Büroassistent/in EBA sind die EBA- und EFZ-Stufe der kaufmännischen Grundbildung inhaltlich und konzeptionell optimal aufeinander abgestimmt. Sie bilden neu ein kohärentes Berufsfeld. Das verbessert die Durchlässigkeit zwischen den beiden Stufen und fördert die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe.

Die Reform gefährdet den Anschluss an die Bildungsgänge der höheren Berufsbildung.

Die höhere Berufsbildung baut auf der beruflichen Grundbildung und auf der beruflichen Erfahrung auf. Sie ermöglicht eine Spezialisierung und/oder eine Vertiefung in einem bestimmten Fachbereich. Die höhere Berufsbildung ist, wie die neue kaufmännische Grundbildung auch, handlungskompetenzorientiert ausgestaltet und passt sich ebenfalls laufend an die neuen Bedürfnisse der Arbeitswelt an. Damit bleiben die vielfältigen Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten intakt.

Fremd­sprachen

In der kaufmännischen Grundbildung wird nur noch eine Fremdsprache unterrichtet.

Das Gegenteil ist der Fall. Neu erwerben alle Lernenden in zwei Fremdsprachen Kompetenzen. Bisher war für die Lernenden im B-Profil nur eine Fremdsprache Pflicht. Für die Fremdsprachenvermittlung liegt ein innovatives und zukunftsgerichtetes Fremdsprachenkonzept vor, welches auch weniger sprachaffinen Jugendlichen den Zugang zu einer zweiten Fremdsprache ermöglicht.

Die Lernenden müssen nicht mehr zwingend eine zweite Landessprache erlernen. Sie können auch die Kombination Englisch und Spanisch wählen.

Die erste Fremdsprache ist eine zweite Landessprache oder Englisch. Die zweite Fremdsprache ist – je nach erster Fremdsprache – eine zweite Landessprache, eine dritte Landessprache oder Englisch. Alle Lernenden erwerben also in zwei Fremdsprachen (davon mindestens eine zweite Landessprache) Kompetenzen. Im Rahmen von Freifächern können weitere Sprachen erlernt werden.

Im Fremdsprachenunterricht wird nur noch Small Talk geübt. Es werden keine vertieften Sprachkenntnisse vermittelt.

In der ersten Fremdsprache erwerben die Lernenden vertiefte mündliche und schriftliche Kompetenzen. Gelernt wird im beruflichen Kontext. Für die zweite Fremdsprache stehen zwei Angebote zur Wahl. Im ersten Angebot erwerben die Lernenden wie in der ersten Fremdsprache fundierte mündliche und schriftliche Kompetenzen. Im zweiten Angebot stehen die mündliche Kommunikation und der Erwerb kultureller Kompetenzen im Zentrum.

Umsetzung

Die Umsetzungsphase ist zu knapp bemessen. Berufsfachschulen und Lehrbetriebe brauchen mehr Zeit.

Die Einführung der Reform wurde von Sommer 2022 auf Sommer 2023 verschoben – obwohl die Kriterien für die Umsetzung im kommenden Jahr erfüllt gewesen wären. In der Verbundpartnerschaft wurde jedoch entschieden, den Einführungszeitpunkt um ein Jahr zu verschieben, um den Berufsfachschulen und den Lehrbetrieben mehr Zeit für die Umsetzung zu geben. Zur Vorbereitung und Begleitung der Umsetzung haben die Verbundpartner bereits im Sommer 2020 ein nationales Koordinationsgremium (NKG) zur Umsetzung der Reformen im Detailhandel und in der kaufmännischen Grundbildung geschaffen. Das NKG hat im Rahmen verschiedener Teilprojekte Umsetzungskonzepte und -instrumente erarbeitet.

Die Berufsfachschulen und die Lehrbetriebe sind über die Inhalte der Reform zu wenig informiert.

Im Verlauf der letzten Monate wurden verschiedene Informationsmedien entwickelt. Diese sind auf der Website der SKKAB verfügbar und vermitteln einen Überblick zu den wichtigsten Änderungen der kaufmännischen Grundbildungen auf Stufe eidgenössisches Berufsattest und auf Stufe eidgenössisches Fähigkeitszeugnis. Zu allen Themen werden Videos, Übersichten und weitergehende Informationen zum Download angeboten – insbesondere auch zu den Anforderungen an die Lernenden und an die Ausbildungsplätze. Sobald die definitiven Bildungserlasse vorliegen, folgen weitere Informationsmedien.

Es fehlt Konzept zur Weiterbildung für Lehrpersonen.

Das im Sommer 2020 eingesetzte nationale Koordinationsgremium (NKG) zur Umsetzung der Reformen im Detailhandel und in der kaufmännischen Grundbildung hat ein entsprechendes Konzept entwickelt. Die Angebote stehen seit Februar 2021 zur Verfügung und werden in Kooperation mit dem Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) und den drei Pädagogischen Hochschulen St. Gallen, Luzern und Zürich realisiert. Es handelt sich um individualisierte, onlinegestützte Angebote, welche mit den Schulentwicklungsprozessen vor Ort verknüpft werden können. Aktuell benutzen rund 80 Berufsfachschulen die digitale Lern- und Arbeitsumgebung. Rund 470 Schulentwickler/-innen sind im Rahmen der Erfahrungsaustausche aktiv und gegen 1900 Lehrpersonen nehmen an der allgemeinen Weiterbildung teil (Stand Juni 2021). Die Kooperationspartner (EHB und Pädagogische Hochschulen) lancieren erste Kurse für die Präsenzschulungen.