«Wir sollten das kaufmännische Berufsfeld als Einheit denken»
Seit Juni 2023 leitet Melinda Bangerter beim Kaufmännischen Verband Schweiz den Bereich Bildung. Die Nachfolgerin von Michael Kraft hat auch dessen Funktionen bei der IGKG Schweiz (Präsidium) und bei der SKKAB (Vorstandsmitglied) übernommen. Was will sie in der kaufmännischen Bildung bewirken?
Melinda Bangerter, Sie haben Betriebs-, Politik- und Umweltwissenschaften studiert. Jetzt engagieren Sie sich im Bereich Bildung. Warum?
Weil mir eine sinnhafte Tätigkeit wichtig ist. Und: Weil ich in der aktuellen Funktion meine Kompetenzen und Erfahrungen einbringen kann. Der Kaufmännische Verband ist eine politisch geprägte Organisation. Wir engagieren uns auf nationaler Ebene für die Berufsbildung und bringen uns in zahlreiche Gremien und Arbeitsgruppen ein. Mein Background aus dem Studium wie meine Erfahrung als Grossrätin des Kantons Aargau kommen mir dabei zupass.
Seit Juni 2023 leiten Sie beim Kaufmännischen Verband Schweiz den Bereich Bildung. Was beschäftigt Sie zurzeit?
Zu einem guten Teil die neue kaufmännischen Grundbildung. Der Kaufmännische Verband unterstützt einerseits Lernende und Praxisbildende bei der Umsetzung. Das bedeutet: Wir informieren und erteilen Auskünfte. Andererseits arbeiten wir am Aufbau der neuen Regelstrukturen mit – bspw. an der Konzeption des Qualifikationsverfahrens. Zudem organisieren wir den Vertrieb der berufskundlichen Lernmedien.
Und darüber hinaus? Welche Dossiers liegen auf Ihrem Schreibtisch?
Beispielsweise die Neuausrichtung der SKKAB …
Darauf kommen wir noch zu sprechen.
Prima. Dann gibt es Themen, die uns permanent beschäftigen, wie die Weiterentwicklung anderer Berufsbilder. Der Kaufmännische Verband Schweiz ist Träger oder Mitträger von über 20 verschiedenen Abschlüssen im Bereich der beruflichen Grundbildung sowie im Bereich der Berufs- und höheren Fachprüfungen – alle im kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Umfeld. Dazu kommen politische Themen wie aktuell die Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation, die der Bundesrat alle vier Jahre dem Parlament vorlegt. Da bringen wir uns im Rahmen der Vernehmlassung ein.
Sie sind auch die neue Präsidentin der IGKG Schweiz und Vorstandsmitglied der SKKAB. Welche Akzente wollen Sie in der kaufmännischen Grundbildung setzen?
Das KV ist die meistgewählte berufliche Grundbildung der Schweiz. Zwei Aspekte machen sie besonders attraktiv. Erstens: Sie ist enorm breit aufgestellt. Junge Menschen können ihre Ausbildung in einer von 19 Branchen absolvieren. Da ist für jede und jeden etwas dabei. Zweitens: Das kaufmännische Berufsfeld bietet extrem viele Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten. Diese Vorteile müssen wir bewahren bzw. ausbauen. Dann ist es mir ein besonderes Anliegen, dass die Berufsbildung insgesamt gestärkt wird, sodass sie sich weiterhin gegenüber dem allgemeinbildenden Weg behaupten kann. Das bedingt, dass wir das System durchlässig gestalten, schnell auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts reagieren und für jeden Abschluss attraktive Anschlussmöglichkeiten schaffen.
Sprechen wir über die neue kaufmännische Grundbildung. Sie war in ihrer Entstehung ein Politikum. Jetzt wird sie «gelebt». Ist der Start geglückt?
Für eine umfassende Bilanz ist es noch zu früh, grundsätzlich scheint der Start allerdings sehr positiv verlaufen zu sein. In ein paar Monaten werden wir sehen, was funktioniert und wo wir justieren müssen. Dabei sollten wir uns bewusst sein: Wir haben – insbesondere als Folge der Umstellung auf Handlungskompetenzen – eine sehr grosse Reform auf den Weg gebracht. Da ist es normal, dass nicht alles auf Anhieb optimal funktioniert. Geben wir uns die erforderliche Zeit für die Umsetzung.
Erhalten Sie Rückmeldungen von Mitgliedern, Betrieben oder Berufsfachschulen?
Wir erhalten Anfragen zur konkreten Umsetzung. Aber zur Reform an sich? Kaum. Das werte ich als gutes Zeichen. Die Kritik an der Reform kam vorher … (lacht).
Nach der Reform ist vor der Reform. Welche Lehren sollten die Träger der beiden kaufmännischen Grundbildungen aus den letzten Jahren mitnehmen?
Wir müssen bei einer kommenden Reform erneut frühzeitig alle relevanten Stakeholder an Bord holen, den Kreis gegebenenfalls ausweiten und die Dachorganisationen der Arbeitswelt enger einbeziehen. So können sich kritische Stimmen rechtzeitig in den Prozess einbringen. Dann wäre es wünschenswert, Reformen in kleineren Schritten aber in höherer Kadenz umzusetzen. Die Arbeitswelt verändert sich immer schneller. Entsprechend müssen wir die Berufsbilder in kürzeren Abständen anpassen. Warten wir zu lange, führt das zu Megareformen, wie wir sie jetzt hinter uns haben. Noch ein Learning: Wir brauchen eine Trägerorganisation, welche die klare Führungsrolle übernimmt.
Womit wir beim Strategieprozess der SKKAB angelangt wären. Sie vertreten die IGKG im Vorstand der SKKAB. Zielt die angedachte Strategie in die richtige Richtung?
Ja. Die SKKAB soll gestärkt werden und soll die erforderlichen Strukturen erhalten, um eine Führungsrolle im kaufmännischen Berufsfeld übernehmen zu können. Die Strategie sieht eine breitere interne Abstützung und den stärkeren Einbezug wichtiger Stakeholder vor – insbesondere der Dachorganisationen der Arbeitswelt wie den Kaufmännischen Verband Schweiz. Das ermöglicht der SKKAB, ihre Anliegen in die nationale Berufsbildungspolitik einzubringen. Auch die Einbindung von Unternehmen in die neue Führungsstruktur sehen wir als Mehrwert. Damit würde sichergestellt, dass die Anliegen der Praxis frühzeitig in die Berufsentwicklung einfliessen.
Die neue Strategie beinhaltet die Option, dass die SKKAB von der IGKG Schweiz die Trägerschaft der EBA-Grundbildung übernimmt. Wie stehen Sie dazu?
Das wäre sinnvoll. Wir sind das einzige Berufsfeld, das für die EBA- und die EFZ-Grundbildung unterschiedliche Träger kennt. Das EBA ist ein wichtiger Zubringer zum EFZ, die beiden Bildungsgänge müssen daher optimal aufeinander abgestimmt sein. Das bedingt eine einheitliche Berufsentwicklung. Überhaupt: Wir sollten das kaufmännische Berufsfeld als Einheit denken: Wo kommen die Leute her, wo gehen sie hin. Es ist daher auch zentral, dass die SKKAB künftig enger mit den Trägern der höheren Berufsbildungen kooperiert und sich intensiver austauscht, so wie es die Strategie vorsieht. Nur so schaffen wir attraktive Bildungswege und stärken die berufliche Grundbildung insgesamt.
Der Kaufmännische Verband Schweiz soll im Vorstand der neuen SKKAB einsitzen. Warum ist das wichtig?
Wir engagieren uns seit 150 Jahren für die Berufsbildung – sie ist Teil unserer DNA. Aufgrund unserer starken Position in Trägerschaften des kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Umfelds, im Berufsmarketing, im Bereich Schulung und Information sowie aufgrund unserer guten Vernetzung in die Politik und ins Bildungswesen sind wir überzeugt, ein Gewinn für die SKKAB zu sein. Als grosser Verband können wir auch entsprechende personelle Ressourcen einbringen und so einen Beitrag zur Stärkung der neuen SKKAB leisten.
Interview: Rolf Marti
Bild: Kaufmännischer Verband Schweiz/Merlin Photography Ltd.
Zur Person
Melinda Bangerter hat Betriebs-, Politik- und Umweltwissenschaften studiert und arbeitet seit 2022 beim Kaufmännischen Verband Schweiz. Zuerst war sie als Fachverantwortliche Berufsbildung tätig, seit Juni 2023 leitet sie den Bereich Bildung. Zuvor wirkte Melinda Bangerter als Leiterin der Geschäftsstelle dualstark sowie als Bereichsleiterin Unternehmen und Mitglied der Geschäftsleitung beim Ökozentrum Langenbruck.